von Dr. Franz Nagelschmidt in Berlin

Buchcover F Nagelschmidt - 1913 - Lehrbuch der Diathermie - Springer - 339 Seiten

Mit 156 Textabbildungen

Berlin, Verlag von Julius Springer 1913

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Zusammenfassung

 

Meiner lieben Frau
und treuen Mitarbeiterin
in Dankbarkeit gewidmet.

 

Vorwort.

Die vielseitige Entwicklung, welche die Technik auf allen Gebieten des öffentlichen und privaten Lebens in den letzten Jahrzehnten gefunden hat, bringt es mit sich, daß sich allmählich das Interesse und das Verständnis für technische Fortschritte popularisiert. Die Erfahrung lehrt, daß nach und nach auch für die Medizin diese Fortschritte nutzbar gemacht werden. Ganz besonders befruchtend hat in dieser Beziehung in den letzten Jahren die beispiellose Entwicklung der drahtlosen Telegraphie gewirkt, insofern, als das seit langer Zeit stagnierende Gebiet der Elektrotherapie einer eingehenden Umarbeitung unterzogen wurde. So können wir Lewis Jones1) beistimmen, der geradezu von einer neuen Ära in der Entwicklung der Elektromedizin spricht. Wir sehen neue Bahnen der Entwicklung vor uns, und es eröffnet sich ein Ausblick in neue Gebiete. Aber unsere ärztliche Vorbildung ermöglicht uns nicht ohne weiteres das Verständnis und die Mitarbeit. Wir müssen umlernen. Was wir noch vor 10 Jahren in der Schule in der Physik von der Elektrizitätslehre lernten, muß modifiziert werden, und wir müssen uns in neue Vorstellungsreihen einleben. Der wesentliche Fortschritt, der uns in dem vorliegenden Buch interessieren soll, geht von der Anwendung der Hochfrequenzströme in der Medizin aus, und er bedeutet nicht mehr und nicht weniger als die Möglichkeit, Wärme in jeden beliebigen Teil des Körpers hineinzubringen. Dieses Verfahren der Diathermie existiert praktisch erst seit circa 5 Jahren. Indessen können wir sagen, daß wir auf kaum einem Gebiet der Elektromedizin über so exakte und experimentell wohlbegründete Kenntnisse verfügen wie auf diesem Grenzgebiet der Elektro- und Thermotherapie. Die Literatur, welche die drahtlose Telegraphie und die Anwendung der Hochfrequenzströme in der Heilkunde betrifft, ist bereits so bedeutend angewachsen, daß es ein dringendes Bedürfnis geworden ist, sie zu einem Lehrbuch zusammenzufassen.

Lehrbücher der drahtlosen Telegraphie und Telephonie gibt es bereits, aber sie sind für Nichtphysiker kaum verständlich.


1) Berl. Klin. Wochenschrift, Nr. 3, 1913. Jubiläumsartikel.

VIII

Wenn wir es im folgenden unternehmen, die medizinischen Anwendungen der Hochfrequenzströme den Ärzten und Studierenden zugänglich zu machen, so müssen wir von vornherein davon Abstand nehmen, die rein physikalischen Grundlagen mathematisch zu entwickeln und ausführlich darzulegen. Wir beschränken uns vielmehr darauf, möglichst allgemeinverständlich darzustellen, welche Energieart uns in den elektrischen Wellen zur Verfügung steht, und was der Arzt zur sachverständigen Anwendung im physiologischen Versuch und in der praktischen Medizin zu wissen benötigt. Wir haben daher die physikalische Schilderung auf das unbedingt nötige Maß beschränkt und einen um so größeren Raum der Physiologie sowie besonders der klinischen Anwendung und speziellen Technik gewidmet: Es soll unsere Aufgabe sein, im folgenden eine für Ärzte und Studierende verständliche Übersicht über den heutigen Stand der täglich an Umfang und Bedeutung wachsenden Materie zu geben. Es dürfte kaum einem Zweifel unterliegen, daß die Hochfrequenzströme als ein Heilfaktor von universeller Bedeutung für alle Zweige der Medizin und als ein unentbehrliches Gemeingut der gesamten Ärztewelt sich erweisen werden, so wie sie für denjenigen, der sich mit ihnen eingehender beschäftigt hat, es heute schon sind.

Es ist nicht verwunderlich, daß auf einem Gebiet, in dem wir es mit einer prinzipiell neuartigen Energieform und Methodik zu tun haben, noch vieles ungeklärt, ja gänzlich unbearbeitet ist. Indessen ist gerade dieses Gebiet wie kaum ein anderes der experimentellen Prüfung zugänglich, so daß wir bereits über eine nicht unbedeutende Anzahl exakter Tatsachen und Beobachtungen verfügen. Zu weiterem Ausbau dieses Wissenszweiges und zu seinem Studium anzuregen, ist mein Wunsch.

Berlin, August 1913.

Nagelschmidt.

IX

Inhaltsverzeichnis.

Seite

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III

Einleitung: Geschichte der Diathermie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1

Erste Abteilung:

Physik und Physiologie der Diathermie.

1. Kapitel: Physik, Erzeugung und Anwendungsweisen der Diathermie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7

A. Einige Grundbegriffe aus der Elektrizitätslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  8

a) Die verschiedenen Stromarten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10
b) Hertzscher Erreger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  14
c) Bestandteile und Begriff eines Schwingungskreises . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  17
d) Dämpfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17
e) Speisestrom für Schwingungskreise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  20
f) Resonanz und Koppelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20

B. Apparate . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22

a) Hochfrequenzapparate nach Tesla-d’Arsonval (Sanitas) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  22
b) Diathermieapparat von Siemens und Halske . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .   27
c) Polyfrequenzapparat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34
d) Röntgenzusatzinstrumentarium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  38
e) Apparat von Lorenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39
f) Apparat von Reiniger, Gebbert & Schall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  41
g) Andere Typen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41

C. Anwendungsmethoden der Hochfrequenzströme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43

a) Solenoid . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  43

1. Für Allgemeinbehandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43
2. Für Lokalbehandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  44

b) Kondensatorbett . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  45

1. Apostoli . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  45
2. Nagelschmidt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  45
3. Schittenhelm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47

c) Kondensatorelektroden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  48

d) Douche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  49

e) Funken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  49

1. Strebel, Keating-Heart . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49
2. Diathermiefunken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  49

f) Kontaktapplikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  50

1. Handelektroden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  50
2. Plattenelektroden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51
3. Wasserelektroden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53
4. Spezialelektroden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54

X

2. Kapitel: Experimentelle und physiologische Wirkungen der Diathermie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .   55

A. Reizlosigkeit und spezifische Wärmewirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  55

a) Theorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  57
b) Wärmewirkung mit Bezug auf die Ionentheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  58
c) Fehlen chemischer Veränderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58

B. Eintritt in den Körper und Verteilung in ihm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  59

a) Fehlender Übergangswiderstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60
b) Verteilung im Gewebe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60
c) Widerstand der Gewebe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  61

C. Spezielle Wärmewirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  61

a) In Lösungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  62
b) In Körpersäften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  63
c) Auf kleinere Tiere . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  63
d) Lokalisierbarkeit der Wärmewirkung in Fleischstücken und Eiweißlösungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  65
e) Steigerung der Erwärmung zur Koagulation und Karbonisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  70

3. Kapitel: Physiologische Wirkungen der therapeutischen Applikationen der Hochfrequenzströme

A. Solenoid . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  71

B. Kondensatorbett . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  75

C. Kondensatorelektroden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77

D. Douche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78

E. Funkenentladungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  79

a) Direkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  80
b) Indirekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81
c) Kaltkaustik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  81

F. Kontaktapplikationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82

a) Bipolare und monopolare Applikationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83

b) Diathermische Wärme als Primärwirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84

1. Art der Erwärmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  85
2. Funktion der Wärmeregulationsvorrichtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86
3. Lokale und allgemeine Temperatursteigerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86
4. Koagulation verschiedener Gewebe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87

c) Sekundäre Wirkungen der Diathermie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .   88

1. Wirkung auf die normale Zirkulation im ganzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88
2. Lokale hyperämisierende Wirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  100

d) Wirkung der Diathermie auf das Nervensystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  101

1. Lokalisation der Wärmeempfindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .   102
2. Analgesierende Wirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102
3. Zentrale Wärmereizung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103

e) Wirkung der Diathermie auf Drüsen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  103
f) Wirkung der Diathermie auf Bakterien und Toxine in vitro und invivo . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  104

Zweite Abteilung:

Klinische Anwendung der Diathermie.

Einleitung: Stellung der Diathermie zur Thermotherapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  107

A. Medizinische Diathermie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108

1. Kapitel: Dosierung der einzelnen Applikationsarten und allgemeine Technik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108

XI

2. Kapitel: Anwendung bei Zirkulationserkrankungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  125

a) Herz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  127
b) Peripherie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  136

3. Kapitel: Bei Erkrankungen der Lunge und Pleura . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163

4. Kapitel: Bei Erkrankungen anderer innerer Organe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  170

5. Kapitel: Bei Gelenk- und Muskelerkrankungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  191

6. Kapitel: Bei Neuralgien, motorischen und trophischen Störungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201

7. Kapitel: Bei zentralen nervösen Erkrankungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  217

8. Kapitel: In der Haut-, Ohren-, Augenheilkunde und Kosmetik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  251

B. Chirurgische Diathermie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  258

1. Kapitel: Allgemeine Technik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258

2. Kapitel: Nachbehandlung von diathermischen Wunden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  263

3. Kapitel: Stellung der Diathermie in der Chirurgie (Krankengeschichten) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  267

4. Kapitel: Vergleich mit Kaustik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  291

5. Kapitel: Anwendung bei Lupus, chirurgischer Tuberkulose und Tumoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  294

Dritte Abteilung.

1. Kapitel: Kontraindikationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  309

2. Kapitel: Kombinationen von Diathermie mit anderen Methoden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  311

3. Kapitel: Stellung der Diathermie zur Hochfrequenztherapie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  314

Grundregeln. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 317

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 321

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Geschichte der Diathermie.

Die Hochfrequenzströme sind ein klassisches Beispiel für die wechselseitige Befruchtung von Wissenschaft und Technik. Die Arbeiten des genialen, leider zu früh verstorbenen deutschen Physikers Hertz1) über Erzeugung elektrischer Wellen haben die Grundlagen für die wichtigsten modernen Errungenschaften der Elektrizität geschaffen. Auf seinen Arbeiten basiert die gesamte drahtlose Telegraphie, das Teslalicht, die Röntgenstrahlen. Er hat die theoretischen Berechnungen Maxwells experimentell bewiesen. Es gelang Hertz, elektrische Wellen von nur wenigen Metern Länge zu erzielen und damit die Richtigkeit der elektromagnetischen Theorie von Faraday-Maxwell zu beweisen.

Ungefähr um dieselbe Zeit erregten die Versuche Teslas, eines zur Zeit in Amerika lebenden tschechischen Ingenieurs, großes Aufsehen, welcher mit hochgespannten Wechselströmen hoher Frequenz verblüffende Lichteffekte hervorbrachte und Kraftübertragungsversuche anstellte. Er empfahl auch ihre Anwendung in der Heilkunde, indem er, richtig vorausahnend, gerade die Wärmewirkung der Hochfrequenzströme hierfür berücksichtigte.

Unmittelbar nach dem Bekanntwerden der Arbeiten dieser beiden Physiker bemächtigte sich d’Arsonval, der bekannte Pariser Physiologe, dieser neuen Errungenschaften. Er ist somit der eigentliche Begründer der bewußten medizinischen Anwendung der Hochfrequenzströme, indem er sie systematisch auf ihre physiologischen und therapeutischen Wirkungen untersuchte und in den wesentlichen Applikationsmethoden der sogenannten D’Arsonvalisation in die Therapie einführte. Die weiteren Modifikationen für therapeutische Anwendungen führten zur Konstruktion des sogenannten Oudinschen Resonators, welcher nichts als eine Anwendung des damals schon bekannten Teslatransformators ist, und dieser ist wiederum die Vorstufe für Schwingungskreise mit Antenne geworden, welche die drahtlose Telegraphie noch heute als unentbehrliches Hilfsmittel in die Technik übernommen hat. Andererseits hat nun wieder die drahtlose Telegraphie in der Erzeugung elektrischer Wellen grundlegende Fortschritte gemacht, indem sie die stark gedämpften, wenig ausgiebigen oszillatorischen Entladungen der Hertzschen Funkenstrecke durch intensive Schwingungen besonderer Generatoren ersetzte.


1) Geboren 22. II. 1857; gestorben, 37 Jahre alt, am 1. Januar 1894 in Hamburg als Professor der Physik.

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Hieraus zog wieder die Medizin den Nutzen, indem nunmehr die Konstruktion spezieller Diathermieapparate ermöglicht wurde, mit deren Hilfe gewisse Phänomene und Fragen der Hochfrequenztherapie erklärt und diese auf eine exaktesten Studien zugängliche experimentelle Basis gestellt ward.

Abb. 1. Influenzmaschine

Abb. 1 A. Mortonsche Ströme und Abb. 1 B. Wave Currents.
Die vorstehend dargestellte Influenzmaschine wird unter Einschaltung beider Kondensatoren nach dem Schema A respektive B angewandt. Je nach der Entfernung der beiden Kugeln (Konduktoren genannt) wechselt Spannung und Intensität.

Wir dürfen bei diesem allgemeinen Überblick nicht vergessen, daß bereits im Jahre 1881, also vor den Arbeiten Hertz‘ und Teslas, Hochfrequenzströme therapeutisch angewandt wurden, allerdings ohne daß ihre Natur erkannt war. Morton verwandte die Holtzsche Elektrisiermaschine zu dem nach ihm als Mortonisation benannten Verfahren.

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Er brachte den Patienten (siehe Abb. 1A) beiderseits in Kontakt mit den äußeren Belägen der Leidener Flaschen, näherte die Kugeln der statischen Maschine so weit, daß beim Betriebe dauernd Funkenübergang stattfand, und erzeugte so, ohne es zu wissen, richtige Hochfrequenzströme vermittels der oszillatorischen Entladungen der Funkenstrecke. Es ist in der Tat diese Anordnung ungefähr einem Hertzschen Erreger entsprechend.

Noch heute wird diese Art der Anwendung der statischen Maschinen in Amerika vielfach geübt. Es sind dort riesenhafte Influenzmaschinen mit 10—18 Plattenpaaren, die durch einen starken Elektromotor in außerordentlich schnelle Umdrehung versetzt werden (bis 3000 Touren pro Minute), in Gebrauch, die nach der Schaltung Abb. 1B angewandt werden. Diese Ströme werden wave-currents genannt. Indessen handelt es sich hierbei nicht um reine Hochfrequenzströme, da gleichzeitig immer noch statische Aufladungen infolge der Polarität der Maschinenkonstruktion mit eine Role spielen.

Die medizinische Bedeutung der Hochfrequenzströme knüpft sich in erster Linie an den Namen des Franzosen d’Arsonval, der die Anregungen Teslas aufnahm und durch seine experimentellen Arbeiten auf dem Gebiete der Elektro-Physiologie bahnbrechend wurde. Er begann im Jahre 1878 seine Studien über den Einfluß der Form der elektrischen Welle auf die Muskelerregbarkeit und wurde so auch zu Untersuchungen über die Wirksamkeit verschiedener Frequenzen elektrischer Stromreize geführt. Er fand bei zunehmender Wechselzahl zunächst eine Erhöhung der Erregbarkeit und von ca. 2500—3000 Wechseln pro Sekunde an eine Abnahme. – Ähnliche Beobachtungen machte Ward im Jahre 1879, und in den Jahren 1889—1890 entwickelte Nernst mathematisch das Erregungsgesetz und stellte fest, daß die physiologische Reizschwelle für Wechselströme im Quadrat der Zunahme der Frequenz abnimmt. Dieses Gesetz ist jedoch nur für relativ geringe Stromstärken maßgebend. Sobald nämlich die Miliampèrezahl eine gewisse Höhe erreicht oder bei genügender Stromstärke die Einwirkung der Ströme prolongiert wird, so treten an Stelle der bekannten elektrolytischen Muskelreizungen gewisse physiologische Wärmereaktionen auf, die je nach dem erzielten Grade der Temperaturerhöhung verschiedene Erscheinungen hervorrufen. Sie verdanken ihre Entstehung der eigentümlichen Durchwärmungsfähigkeit der Hochfrequenzströme, die wir in dem vorliegenden Buch als Methode der Diathermie näher betrachten werden. Bei ganz hohen Frequenzen scheint übrigens die Nernstsche Formel noch einiger Modifikationen zu bedürfen.

Die charakteristischen Eigenschaften der Hochfrequenzströme, scheinbar reizlos durch den Körper hindurchzugehen, waren bei den ersten Versuchen bereits aufgefallen. Tesla und d’Arsonval demonstrierten diese Erscheinungen, indem sie in dem Hochfrequenzkreis zwei Menschen, die eine Reihe von Glühlampen mit der einen Hand zwischen sich schalteten, mit der anderen Hand je einen Pol ergreifen ließen.

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Hierbei durchfloß der Strom den einen Experimentator, sodann die Glühlampen und den anderen Experimentator. Bei genügender Intensität kamen die Glühlampen zum weißen Aufleuchten, ohne daß die Versuchsindividuen eine elektrische Reizung verspürten.

Während von Frankreich aus die von d’Arsonval angegebenen Anwendung der Hochfrequenzströme in Verbindung mit dem Oudinschen Resonator in der Therapie hauptsächlich in Form der Autokonduktion, der Autokondensation, der Effluvien, der Kondensatorwirkungen usw. schnell weltbekannt wurde, allerdings auch vielfach mit Skeptizismus betrachtet und besonders in Deutschland ihre Wirkungen gern auf Suggestion zurückgeführt wurden, wurde das Studium der Wärmewirkung der Hochfrequenzströme in Frankreich vollständig vernachlässigt und blieb im Ausland so gut wie ganz unbekannt.

Es ist dies um so erstaunlicher, als Tesla schon am 23. Dezember 1891 im „Electrical Engineer“ über therapeutische Aussichten der Anwendung von Hochfrequenzströmen sich verbreitete. Er geht von einem Versuch aus, in dem er zeigte, daß „ein in der Luft vollkommen isolierter Körper durch einfache Verbindung desselben mit einer Elektrizitätsquelle von rasch wechselnder hoher Spannung erhitzt wurde“. Er hofft, mit Hilfe eines solchen passend konstruierten Apparates verschiedene Arten von Krankheiten erfolgreich zu behandeln, und zwar erwartet er den Eintritt der Erwärmung, „mag nun die Person, an der die Operation vorgenommen wird, im Bett liegen oder im Zimmer spazieren gehen, oder mag sie in dicken Kleidern stecken oder nackt sein“, und er fährt fort: „Ohne für alle Resultate einstehen zu wollen, die natürlich durch Erfahrung und Beobachtung festgestellt werden müssen, kann ich doch mindestens die Tatsache verbürgen, daß durch Anwendung dieses Verfahrens, nämlich daß man den menschlichen Körper dem Bombardement von Wechselströmen von hoher Spannung und Frequenz, mit denen ich mich lange beschäftigt habe, aussetzt, eine Erwärmung stattfindet. Man darf mit Recht erwarten, daß einige von den neuen Wirkungen völlig verschieden sein werden von denen, welche man mit den altbekannten und allgemein angewendeten therapeutischen Methoden erhalten konnte. Ob sie alle nützlich sein würden oder nicht, bliebe zu zeigen.“

Es ist nicht klar ersichtlich, ob Tesla in seinen Mitteilungen den Gedanken einer vollkommenen Erwärmung des Organismus ausdrücken wollte, da er unter anderem auch von einer Erwärmung der Haut spricht.

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Im Jahre 1892 und später erwähnt d’Arsonval wiederholt die Wärmewirkungen der Hochfrequenzströme. Er berichtet, daß beim Durchleiten größerer Hochfrequenzstärken keinerlei Nerven- oder Muskelreizung auftritt, außer einem unangenehmen Wärmegefühl in den Armen. Er beobachtete ferner bei Experimenten am Kaninchen, bei denen größere Stromstärken durch die Beine in den Körper hineingeleitet wurden, daß diese gangränös wurden und sich demarkierten. Während also aus der Publikation von Tesla nicht ganz klar ersichtlich ist, ob er eine vollständige Durchwärmung des Körpers mit Hochfrequenzströmen für möglich hält, ist es zweifellos, daß d’Arsonval den Begriff der Tiefendurchwärmung nicht erfaßt hatte.

Erst im Jahre 1899 erwähnt sodann von Zeyneck in einer längeren Arbeit in den „Göttinger Annalen“1) über die Erregbarkeit sensibler Nervenendigungen durch Wechselströme in wenigen Zeilen am Schluß dieser Arbeit als Nebenbefund die Durchwärmung der Fingerspitzen und deutet diese Erscheinung richtig als Jouleschen Wärmeeffekt und Tiefendurchwärmung.

Seitdem ist 8 Jahre lang von Wärmewirkung der Hochfrequenzströme nicht mehr die Rede gewesen. Ohne die erwähnten, zum Teil der Ärzteschaft kaum zugänglichen (Göttinger Annalen, mathematisch-physikalische Abteilung zum Beispiel) Literaturstellen zu kennen, fielen mir schon bei meinen ersten Versuchen, die ich 1905 mit Hochfrequenzströmen an Fröschen anstellte, die intensiven Durchwärmungen der stromdurchflossenen Teile auf (siehe Seite 64), und ich konnte sie auch bei der Applikation am Menschen unter Verwendung des primären Solenoids (siehe Seite 64), das heißt unter Weglassung des Oudinschen Resonators, beobachten und therapeutisch verwerten. Ich habe im Jahre 1907 im September in Dresden auf dem Naturforscherkongreß Durchwärmungen der Arme und der Brust am Menschen praktisch demonstriert und zu therapeutischen Zwecken bei Gelenk- und Zirkulationserkrankungen empfohlen2). Wie mir später brieflich von Seiten Doktor von Berndts aus Wien mitgeteilt wurde, hat er im Februar des Jahres 1907, also einige Monate vor meinem Dresdner Vortrag, ein versiegeltes Kuvert bei der Akademie in Wien deponiert, in welchem er die Priorität der Anwendung der Hochfrequenzwärme für sich und seine Mitarbeiter in Anspruch nimmt.

Chronologisch stellt sich somit die Geschichte der Wärmewirkung der Hochfrequenzströme folgendermaßen dar:


1) Nachrichten v. d. kgl. Gesellsch. d. Wissenschaften zu Göttingen (Mathem.- physikal. Abteilg.) 1899.
2) Leider hat der Vortrag durch ein Versehen nicht Aufnahme in die Kongreßverhandlungen gefunden.

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1891 wird sie von Tesla nach Beobachtungen am Menschen beschrieben und therapeutisch empfohlen.

1892 und später wird sie mehrfach von d’Arsonval als störender Nebenbefund erwähnt.

Der besondere Charakter der Diathermie, Tiefendurchwärmung, wird vielleicht von Tesla 1891 vermutet, jedenfalls aber von Zeyneck im Jahre 1899 als kurze Nebenbemerkung klar erwähnt. Im Februar 1907 deponiert Doktor von Berndt bei der Akademie ein versiegeltes Kuvert, in dem er die Priorität der Entdeckung der Thermopenetration für sich in Anspruch nimmt.

Ohne Kenntnis der Bemerkungen Zeynecks in den Göttinger Annalen und der versiegelten Erklärung von Berndts bespricht und demonstriert Nagelschmidt die klinische Anwendung der Hochfrequenzwärme am Menschen im September 1907 nach mehrjährigen Beobachtungen.

Im Februar 1908 publizieren Doktor von Berndt und Doktor von Preiß gemeinschaftlich und im Zusammenhang mit von Zeyneck die Methode der Thermopenetration im wesentlichen an Erkrankungen der Gelenke.

In der Zeitschrift für physikalische und diätetische Therapie im Jahre 1909 erkennen sowohl Doktor von Berndt wie Doktor Nagelschmidt in ihren Arbeiten an, daß unabhängig voneinander in Wien und in Berlin gleichzeitig das Verfahren der Tiefendurchwärmung ausgebildet wurde.

Im Gegensatz hierzu bestreitet ein Jahr später von Zeyneck die Unabhängigkeit der Arbeiten Nagelschmidts über die Hochfrequenzwärme sowie dessen praktische Priorität.

Aus alledem ergibt sich, daß Wärmewirkungen der Hochfrequenzströme Tesla schon vor ihrer medizinischen Anwendung und Empfehlung durch d’Arsonval bekannt waren, sowie von diesem und anderen beobachtet worden sind. Zeyneck gebührt das Verdienst, die Tiefendurchwärmungsmöglichkeit mit Hochfrequenzströmen im Jahre 1899 zuerst theoretisch ausgesprochen zu haben. Nagelschmidt hat, ohne diese Arbeit zu kennen, klinisch die Diathermie erprobt und ihre praktische Anwendung als erster auf dem Naturforscherkongreß in Dresden demonstriert. 6 Monate später erscheint die erste klinische Arbeit der Mitarbeiter Zeynecks.

Seitdem hat sich das Gebiet der Hochfrequenzströme und speziell der Diathermie einer schnell zunehmenden erneuten Beachtung erfreut, nachdem man fast allseitig den Stab über die d’Arsonvalisation gebrochen hatte. Der Aufschwung datiert seit dem Jahre 1907.

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Erste Abteilung.
Physik und Physiologie der Diathermie.

1. Kapitel.
Physik, Erzeugung und Anwendungsweisen der Diathermie.

Die Hochfrequenzströme stellen eine elektrische Energieform dar, die gewisse Sonderheiten gegenüber den älteren bekannten elektrischen Zuständen bietet, aber doch in jeder Hinsicht den Gesetzen der Elektrizitätslehre unterliegt. Wir sind zwar ebensowenig imstande, uns ein deutliches Bild von dem eigentlichen Wesen der Hochfrequenzströme zu machen, wie wir überhaupt nicht wissen, was Elektrizität ist. Indessen erzeugen wir sie, dosieren sie, transportieren und übertragen sie und wenden sie nach Willkür an, gerade wie die älteren Formen der Elektrizität. Wir rufen mit den Hochfrequenzströmen scheinbar wunderbare Wirkungen hervor, Energieübertragungen über Tausende von Kilometern, Lichterscheinungen ohne direkte Berührung usw. Wir können aber zur Definition dieser Energieform uns der gleichen Grundbegriffe der Elektrizität bedienen wie für jeden anderen elektrischen Strom.

Man definiert vielfach die Elektrizität als eine Art Fluidum, welches den Raum erfüllt und die Körper gleichförmig durchdringt. Im normalen Sättigungszustand mit diesem Fluidum erscheint die Materie unelektrisch. Nur wenn durch irgendwelche mechanischen, chemischen oder sonstigen Hilfsmittel eine vermehrte Ansammlung oder teilweise Entleerung eines Körpers von diesem Fluidum stattgefunden hat, äußert sich dieser Zustand der Füllungsdifferenz in dem Bestreben, sich wieder zur Gleichgewichtslage auszugleichen, und wir sprechen dann von im elektrischen Zustand befindlichen Körpern. Ist die elektrische Energiemenge in einem Körper verdichtet, gewissermaßen unter Druck, so sprechen wir von einem positiv geladenen, ist sie verdünnt und gewissermaßen im saugenden Zustand, von der negativen Ladung. Diese Vorstellungsart ist jedoch eine rein vergleichsweise und braucht durchaus nicht den Tatsachen zu entsprechen. Indessen genügt sie für eine gewisse Anschauungsmöglichkeit zu unseren Zwecken.

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Man könnte auch den elektrischen Zustand mit der sehr verwandten Energieform von Wärme und Kälte vergleichen. Wärme und Kälte sind nicht zwei verschiedene Begriffe, sondern nur quantitative Unterschiede einer einzigen Energieform, nämlich der Wärmeschwingung der Moleküle. Wir nennen einen Körper kalt, wenn er der ihn umgebenden Materie Wärme entzieht, und warm, wenn er Wärme an sie durch Ausstrahlung oder Leitung abgibt. Wir könnten daher ebensogut von positiver und negativer Wärme sprechen und sagen, daß je ein positiv und negativ mit Wärme geladener Körper durch Berührung diesen differenten Zustand auszugleichen sucht, indem er durch Leitung Wärme abgibt oder aufnimmt. Wir können den Vergleich weiterspinnen, indem wir zwei Körper, welche sich nicht direkt berühren, durch einen guten Isolator, zum Beispiel einen luftleeren Raum, in ihrer beziehungsweise Wärmeladung beharren lassen oder auch durch Verbindung mit einem guten Leiter, zum Beispiel Wasser, zum relativ schnellen Ausgleich der positiven und negativen Wärmeladung veranlassen können. Auch die drahtlose Telegraphie, das heißt die elektrischen Wellen, haben ihr Analogon in den Wärmestrahlen.

Bevor wir nun auf die Physik und die Erzeugung der Hochfrequenzströme näher eingehen, erscheint es nötig, einige Grundbegriffe der Elektrizitätslehre uns kurz ins Gedächtnis zurückzurufen.

Wenn zwei Körper eine verschiedene elektrische Ladung besitzen, und wir sie in eine elektrische Beziehung zueinander bringen, so geben wir ihnen die Möglichkeit, diese Ladung auszugleichen. Die Energie und die Art, mit der dieser Ausgleich stattfindet, hängt von einer Reihe von Faktoren ab. Zunächst spielt die sogenannte Potentialdifferenz eine Rolle. Man spricht von elektro-motorischer Kraft, Potentialdifferenz, Potentialgefälle, elektrischer Spannung, auch schlechtweg von Potential und mißt diese synonymen Bezeichnungen nach der Volteinheit. Ein Volt entspricht der elektromotorischen Kraft eines Daniellelementes. Wenn man also zum Beispiel sagt, daß das Berliner Stromnetz 220 Volt Spannung hat, so bedeutet das, daß die Potentialdifferenz zwischen den beiden Polen an einer beliebigen Stelle im Stromgebiet Berlins ungefähr der Summe der Spannungsdifferenzen von 220 Daniellelementen entspricht.

Die Elektrizitätsmenge, welche beim Ausgleich von Potentialdifferenzen zwischen zwei verschieden geladenen Körpern in einer gewissen Zeiteinheit einen Leiter, zum Beispiel einen die Körper verbindenden Kupferdraht von gegebenem Querschnitt, durchfließt, nennt man ein Coulomb. Man mißt diese Größe, indem man sie mit der Arbeit vergleicht, die diese Elektrizitätsmenge in gewisser Weise zu verrichten vermag, zum Beispiel an ihrer elektrolytischen Wirkung. Die Einheit der Elektrizitätsmenge, die in einer bestimmten Zeit einen Leiter durchfließt, das heißt ein Coulomb, definiert man als diejenige Elektrizitätsmenge, welche in einem elektrolytischen Voltameter 1,118 mg Silber frei macht beziehungsweise ausscheidet.

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Hierbei ist es gleichgültig, ob diese Elektrizitätsmenge die gesamte Arbeit in 24 Stunden oder in 10 Minuten verrichtet. Es muß dann in der kürzeren Zeit ein relativ stärkerer Strom den Leiter durchfließen, um dieselbe Strommenge zu repräsentieren.

Wir müssen daher auch die Stromstärke, das heißt die Fließgeschwindigkeit, definieren. Wir nennen diese Stromstärke Ampère und bezeichnen mit ihr die Elektrizitätsmenge, welche in der Zeiteinheit den Leiter durchfließt. Man definiert also ein Ampère (= einem Sekundencoulomb) als die Stromstärke, welche pro Sekunde 1,118 mg Silber elektrolytisch niederzuschlagen vermag.

Wenn wir ein hochstehendes und ein tiefstehendes Gefäß durch ein Rohr verbinden, das obere Gefäß mit Wasser füllen und den Verschlußhahn öffnen, so wird ein Ausgleich der Niveaudifferenz stattfinden. Wählen wir zum Beispiel das Verbindungsrohr sehr kurz und messen die Zeit, in der das Wasser in das tiefere Gefäß hinüberläuft, so werden wir beobachten, daß, wenn wir jetzt an Stelle des sehr kurzen Rohres ein 100mal so langes, aber von gleicher Weite, wählen, der Auslauf derselben Flüssigkeitsmenge etwas länger dauern wird. Dies kommt von dem vergrößerten Leitungswiderstand an der längeren Schlauchwand während des längeren Weges. Elektrisch bedeutet das: Ein Draht von bestimmter Länge setzt der Elektrizität einen gewissen Widerstand entgegen, und dieser Widerstand wächst proportional der Länge.

Verbinden wir nunmehr beide Gefäße nacheinander mit Schläuchen derselben Länge, aber verschiedener Dicke, so werden wir auch hier Unterschiede in der Entleerungsgeschwindigkeit sehen. Der dünnere Schlauch bietet dem Wasser mehr Leitungswiderstand als der dicke. Das Extrem sehen wir an Kapillarröhren, deren Widerstand die Flüssigkeitsverschiebung völlig aufhebt. Elektrisch bedeutet das, daß ein dünnerer Draht einen größeren Widerstand besitzt als ein dickerer. Elektrischer
Widerstand eines Leiters ist also proportional seiner Länge und umgekehrt proportional seinem Querschnitt.

Dazu kommt noch ein weiterer Punkt. Nehmen wir gleich lange Wasserrohre gleichen Querschnitts, von denen das eine inwendig aus poliertem Metall besteht und das andere aus rauhem Ton, so werden wir auch hier Leitungsdifferenzen beobachten. Ins Elektrische übersetzt, bedeutet das: Leiter aus verschiedenen Substanzen haben einen spezifischen Widerstand.

Die elektrische Widerstandseinheit nennt man Ohm. Ein Ohm entspricht dem Widerstand einer Quecksilbersäule von 106 cm Länge und 1qmm Querschnitt bei 0°.

Praktisch jedoch bedient man sich meistens eines anderen Maßes und nennt ein Ohm den Widerstand eines geglühten Kupferdrahtes von 50 m Länge und 1 mm Durchmesser.

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Eines der wichtigsten Gesetze der Elektrizitätslehre ist das Ohmsche Gesetz. Es bringt nämlich die 3 definierten Einheiten Ampere, Volt und Oh min eine Beziehung zueinander. Die Formel des Ohmschen Gesetzes lautet, wenn wir die Stromstärke in Ampère mit I, die Potentialdifferenz in Volt mit E und den Widerstand in Ohm mit R bezeichnen:

I = E / R.  Danach ist 1 Ampère = 1 Volt / 1 Ω

oder ein Milliampère = 1 Volt / 1000 Ω

In der elektrischen Therapie spielt außerdem noch die Stromdichte eine große Rolle, und wir müssen sie deshalb hier kurz definieren. Legt man eine Elektrode auf die Haut auf, so kann man verschiedene Stromstärken durch dieselbe hindurchschicken und damit eine bestimmte Strommenge pro Quadratzentimeter Haut applizieren. Man nennt Stromdichte die Zahl der Milliampère, welche pro Quadratzentimeter Elektrodenfläche hindurchgehen.

Durchfließt ein elektrischer Strom einen Leiter, so findet er in ihm einen gewissen Widerstand. Die durch diesen Widerstand aufgezehrte elektrische Energie erwärmt den Leiter. Diese Wärme wird Joule’sche Wärme genannt.

Das Joule’sche Gesetz sagt:

  1. Die produzierte Wärmemenge ist dem Quadrat der Stromstärke proportional (das heißt die doppelte Strommenge erzeugt die vierfache Erwärmung).
  2. Die Wärme ist dem Widerstand des Leiters proportional (das heißt der doppelte Widerstandbedingt die doppelte Erwärmung).
  3. Die produzierte Wärmemenge ist der Dauer des Stromflusses proportional.
  4. Der doppelte Weg verdoppelt den Widerstand.
  5. Der doppelte Querschnitt bedingt den halben Widerstand.

Wir können nunmehr zur Definition der verschiedenen Stromarten übergehen. Der elektrische Strom, der von Elementen oder Gleichstrommaschinen geliefert wird, fließt stets in der gleichen Richtung und kann graphisch in den meisten Fällen durch eine Horizontale parallel zur Abszisse dargestellt werden. Da er stets in der gleichen Richtung fließt, macht er auch elektrolytische Veränderungen gleicher Art, das heißt, je stärker und je länger er fließt, desto intensiver werden diese Veränderungen sein. Auch die Influenzmaschine kann zur Produktion von Gleichstrom verwandt werden. Wenn man die Kugeln der Funkenstrecke weit auseinander zieht und durch einen Leiter oder den Patienten verbindet, so fließt während des Betriebes der Influenzmaschine der Strom stets in gleicher Richtung durch den Leiter hindurch.

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Der Induktionsapparat oder seine mächtigere Fortbildung, der Ruhmkorffsche Induktor oder kurzweg Induktor liefern den sogenannten Induktionsstrom, einen Wechselstrom, dessen Entstehung auf folgendem Prinzip beruht: Befestigt man die beiden Enden eines durchschnittenen Drahtringes an den beiden Polen einer Gleichstromquelle, und bringt man parallel zu diesem Drahtring A einen zweiten geschlossenen Drahtring B in die Nähe des ersten, ohne daß die beiden Ringe sich berühren, so kann man die Phänomene der Induktion beobachten. Läßt man aus der Stromquelle Elektrizität durch den ersten Drahtring fließen, so entsteht im Moment des Stromeintritts in den ersten Ring, in dem zweiten Ring ein entgegengesetzt gerichteter Stromstoß. Je näher der zweite Ring dem ersten ist, relativ um so stärker ist dieser induzierte Stromstoß. Bringen wir den zweiten Ring nicht parallel, sondern geneigt zum ersten an, so ist die Induktionswirkung eine schwächere und wird, wenn die Ebenen der beiden Ringe senkrecht aufeinander stehen, gleich 0.

Dieser Induktionsstrom entsteht jedoch nur in dem Moment, in dem das Potential in dem ersten Drahtring sich ändert. So lange der Strom in diesem Ring gleichmäßig weiter fließt, bleibt der zweite Ring stromlos. Unterbricht man nun den Speisestrom des ersten Ringes, so entsteht nunmehr in dem zweiten wiederum ein Stromstoß, und zwar entgegengesetzt dem ersten. Je plötzlicher die elektrische Zustandsänderung in dem primären Ring stattfindet, desto intensiver ist auch der Stromstoß im sekundären Ring. Da nun bei den gewöhnlichen Induktionsunterbrechern der Schließungsfunke eine weniger schnell von 0 zum Maximum ablaufende Zustandsänderung hervorruft als der Öffnungsfunke, so ist der Schließungsinduktionsstromstoß von dem Öffnungsstromstoß verschieden. Ersetzt man den primären Ring durch eine größere Anzahl derartiger zusammenhängender Ringe, das heißt durch eine Spule, und ebenfalls den sekundären Ring durch eine solche und nähert man diese Spule unter Zwischenschaltung einer gut isolierenden Schicht so weit wie möglich, indem man die beiden Spulen zum Beispiel dicht übereinander schiebt, so addiert sich die Induktionswirkung einer jeden Windung des primären Ringes mit der zunächst folgenden und erzeugt ebenfalls eine um so vielstärkere Induktionswirkung in der sekundären Spule. Hierbei kann man noch verschiedene Übersetzungsverhältnisse wählen, indem man die Windungszahl der primären und sekundären Spulen sowie die Drahtstärke variiert und zum Beispiel durch eine relativ geringe Zahl dicker Primärwindungen und eine relativ große Zahl dünner Sekundärwindungen aus einem niedrig gespannten unterbrochenen Gleichstrom, der die Primärwindung speist, einen hochgespannten Sekundärinduktionsstrom erzeugt, welcher ein Wechselstrom ist.

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Durch geeignete Wickelungsverhältnisse (Selbstinduktion) und Einschaltung von Kondensatoren kann man eine Stromphase, zum Beispiel den Schließungsstrom (für Röntgenzwecke) praktisch fast ganz unterdrücken, so daß fast reine unterbrochene Stromstöße in einer einzigen Richtung von größerer Intensität erfolgen. (Siehe nebenstehend die Stromkurve eines Induktionsapparates.) (Abb. 2.)

Abb. 2. Stromkurve eines Siemensschen Induktors.

Wechselströme können nun auch noch in anderer Weise erzeugt werden, zum Beispiel durch Dynamomaschinen. Solche Wechselströme haben meistens eine sinusoidale Form und entsprechen der Kurve (Abb. 3). Ihre positive und negative Phase ist symmetrisch und verläuft nach einer Sinuskurve.

Abb. 3. Sinusoidale Stromkurve.

Durch gewisse Anordnungen kann man die eine Phase der Sinuskurve unterdrücken oder umkehren und erhält hierdurch den sogenannten Gleichrichterstrom oder pulsierenden Gleichstrom.

Abb. 4. Wechselstromkurve.

A – B negative Phase. B – C positive Phase. A – C eine ganze Periode. A – B, B – C je ein Wechsel

Diese Vorbemerkungen mögen zum Verständnis der verschiedenen üblichen Stromesarten genügen, und wir gehen nunmehr zur Betrachtung der Wechselströme über.

Die in der Industrie üblichen Wechselströme, so wie sie im Stromnetz mancher Städte zur Verfügung stehen, haben meist eine relativ niedrige Periodenzahl. Man nennt Periode eines Wechselstromes den Teil seines Verlaufes, welcher aus je einer aufeinanderfolgenden positiven und negativen Phase besteht vom Moment des Beginns des positiven Teils der Kurve auf der Abszisse bis zum Wiedereintritt der Kurve in den entsprechenden Punkt von der negativen Phase aus (siehe Abb. Nr. 4).

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Die übliche Wechselzahl von Straßenstromnetzen beträgt 50 Perioden oder 100 Wechsel. Dieser Strom wird durch Wechselstromdynamomaschinen erzeugt. Einen solchen Strom nennt man einen niederfrequenten Wechselstrom. Im Prinzip unterscheidet sich ein solcher Strom von den sogenannten Hochfrequenzströmen, bei denen wir eine Million und mehr Wechsel pro Sekunde haben, in nichts anderem als in der Zahl der Wechsel, und doch sind die spezifischen Wirkungen der Hochfrequenzströme mit niedriger Wechselzahl nicht zu erreichen. Gerade so wie in der Optik mit Ätherwellen von 760 Millionstel Millimeter Wellenlänge immer nur der Effekt Rot und niemals Blau erzielt wird, werden wir es begreiflich finden, daß auch bei den elektrischen Wellen, die sich von den Lichtwellen nur durch ihre Frequenz beziehungsweise Wellenlänge unterscheiden, den einzelnen Frequenzen gewisse spezifische Wirkungen innewohnen. Wir können uns diese Unterschiede vielleicht auch durch einen Vergleich aus der Mechanik näherbringen. Betrachten wir eine Milchzentrifuge zum Beispiel und beschicken wir sie mit Milch, so werden wir bei langsamer Drehung der Zentrifuge die Milch zwar in Rotation versetzen, aber keine Trennung der leichteren von den schwereren Stoffen erzielen. Erst wenn die Tourenzahl der Zentrifuge eine bestimmte Höhe erreicht oder überschritten hat, treten die Wirkungen der Zentrifugalkraft in die Erscheinung, und wir bekommen eine Separation der Sahne von der Milch. Ebenso sind elektrische wellenförmige Zustandsänderungen, wenn sie zu langsam erfolgen, nicht imstande, so intensive Äthererschütterungen hervorzurufen, daß zum Beispiel eine wellentelegraphische Übertragung möglich wäre, sondern es ist eine gewisse Minimalfrequenz von mindestens einigen Hunderttausend Wechseln pro Sekunde nötig, um drahtlose Telegraphie zu machen. Man hat versucht, Hochfrequenzschwingungen oder Hochfrequenzströme, was identisch ist, dadurch zu erzeugen, daß man Dynamomaschinen von sehr großer Tourenzahl und mit sehr viel Polwechseln baute. Jahrelang war es nicht möglich, hierbei zu größeren Wechselzahlen als 20 000 bis 30 000 pro Sekunde mit genügender Leistung zu gelangen. Erst in den allerletzten Jahren hat Doktor Goldschmidt eine Wechselstrommaschine konstruiert, welche bei 300 000 Wechseln pro Sekunde eine erhebliche Stromstärke produzierte. Ob ein solches Verfahren noch verbesserungsfähig ist, und ob derartige Maschinen jemals eine größere Verbreitung in der Praxis der elektrischen Wellen erlangen werden, lassen wir dahingestellt. Für die Produktion von Hochfrequenzströmen zu medizinischen Zwecken haben solche Maschinen bisher keine Rolle gespielt, sie werden vermutlich auch späterhin wegen ihres hohen Preises außer Frage bleiben. Dies ist um so wahrscheinlicher, als wir imstande sind, durch die allereinfachsten Hilfsmittel wirkliche Hochfrequenz zu erzeugen.

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Lassen wir nämlich zwischen zwei Drahtspitzen irgendeinen elektrischen Funken übergehen, so stellt dieser elektrische Ausgleichs- oder Entladungsvorgang keineswegs einen einmaligen Übergang von Elektrizität dar, sondern wir haben es stets bei Funkenentladungen jeder Art mit einer sogenannten oszillatorischen Entladung zu tun. Betrachtet man das Bild eines Funkens in einem schnell rotierenden Spiegel auseinandergezogen, so erkennt man, daß er der Ausgangspunkt eines mehrmaligen Hin- und Herschwingens elektrischer Energie ist. Um uns dies klar zu machen, müssen wir wieder auf unser Beispiel aus der Hydrodynamik zurückgehen. Nehmen wir an Stelle der beiden verschieden hoch stehenden Wassergefäße zwei kommunizierende Röhren, welche zum Beispiel durch einen Gummischlauch verbunden sind; bringen wir die Röhren in gleiche Höhe und füllen wir sie bis zum gleichen Niveau mit Wasser. Heben wir jetzt die eine Röhre hoch und senken sie gleich darauf wieder auf ihre ursprüngliche Stellung schnell zurück, so haben wir durch die Niveauverschiebung die Wassersäule aus dem Gleichgewicht gebracht, und trotz der sofort eintretenden Ruhelage der Röhre schwankt der Wasserspiegel in beiden eine Weile hin und her, bis er seine Ruhelage in beiden in gleicher Höhe wieder einnimmt. Ebenso fließt in zwei isoliert ausgespannten Drähten, denen wir eine elektrische Ladung gegeben haben, und von denen wir zwei Punkte einander genügend nähern, beim Übergang des Funkens zwischen diesen beiden Punkten die zurzeit in dem Draht befindliche Elektrizitätsmenge über die Brücke des Funkens mehrmals hin und her, bis ihr Ausgleich erfolgt ist. Die Kapazität solcher Drähte, das heißt ihr Fassungsvermögen für elektrische Energie, ist natürlich ein außerordentlich geringes, und die elektrischen Schwingungen, die wir in einem solchen feinen Fünkchen erzeugen, sind minimale und für praktische Zwecke unverwertbar.

Abb. 5. Hertzscher Erreger.

Abb. 6. Darstellung der Vergrößerung der Aufnahmefähigkeit eines schwingenden Systems durch Kondensatoren.

Wir müssen daher diesen einfachsten Hertzschen Erreger (Abb. 5) verbessern. An jedem Draht Funkenstrecke bringen wir eine größere Metallkugel an. Vermöge ihrer Größe und Oberfläche sind diese Kugeln imstande, eine gewisse Elektrizitätsmenge auf sich aufzuspeichern: Ihr Fassungsvermögen (ihre Kapazität) hat eine gewisse Größe. Wir können jetzt unseren Erreger ein wenig stärker aufladen und erhalten nun ein intensiveres Fünkchen. (Abbildung 6.)

Schalten wir nun noch einen oder mehrere Kondensatoren ein, das heißt vergrößern wir die Aufnahmefähigkeit des Systems erheblich, so können wir die Leistungen unseres Erregers noch mehr steigern.

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Wir müssen an dieser Stelle kurz definieren, was ein Kondensator ist. Einer der am längsten bekannten Kondensatoren ist die sogenannte Leidener Flasche, welche in der Mitte des 18. Jahrhunderts erfunden wurde. Ein rundes, oben offenes Glas ist außen und innen etwa in gleicher Höhe mit Stanniol belegt. Durch einen isolierenden Deckel reicht ein mit einem Knopf versehener Metallstab bis auf den Boden und ist mit dem inneren Metallbelag leitend verbunden. Bringen wir die innere oder die äußere Belegung einer Leidener Flasche mit einem Pol einer Elektrizitätsquelle in Verbindung, so nimmt jede der Belegungen eine ihrer Oberfläche entsprechende und für beide gleiche Strommenge unter einem bestimmten Potential auf. Je größer die Flasche und mithin je größer die Oberflächen der Metallbeläge sind, um so mehr Elektrizität können wir in einer solchen Flasche aufspeichern.

Wir können uns die Wirkung eines Kondensators wiederum aus einem Vergleich der Hydrodynamik klar machen. Nehmen wir eine U-förmige Glasröhre, überall von gleicher Weite (siehe Abb. 7a) und füllen wir sie mit Wasser, so werden wir ein relativ geringes Quantum Wasser in diesem Rohr unterbringen können, ehe das Wasser an den Rändern überläuft. Verbinden wir nun aber beide Schenkel unseres Glasrohres mit je einer großen Glasflasche (Abb. 7b), so können wir nunmehr in unser Gefäßsystem ein Vielfaches des vorigen Wasserquantums hineingießen, ehe es gefüllt ist und überläuft.

Abb. 7. Schema der Kondensatorwirkung.

– Wollen wir noch größere Elektrizitätsmengen aufspeichern, so können wir mehrere derartige Flaschen zu einer Batterie vereinigen, indem wir die inneren Beläge und die äußeren, jede für sich, miteinander leitend verbinden. Die Form der Leidener Flaschen ist wegen ihrer räumlichen Ausdehnung praktisch für viele Zwecke eine ungünstige, und man hat daher Kondensatoren in anderer Form und aus anderen Materialien gebaut. Denkt man sich eine Leidener Flasche ohne Boden, das heißt ein oben und unten offenes Glasrohr, innen und außen bis etwa 5 cm von jedem Rande mit Stanniol belegt und in der Längsrichtung aufgeschnitten und aufgerollt, so hat man den Typus eines Plattenkondensators. Solche Platten kann man in geringem Abstande voneinander in größerer Anzahl miteinander vereinigen und auf relativ kleinem Raum einen bedeutenden Kondensator herstellen.

Da die Wirkung eines Kondensators auch von der Natur und der Dicke der isolierenden Schicht, in dem von uns betrachteten Fall des Glases, abhängig ist und um so wirksamer ist, je dünner diese Schicht ist, hat man das Glas durch gefirnißtes Papier oder am besten durch dünne Glimmerplättchen ersetzt und dadurch in kleinem Raum sehr wirksame Kondensatoren erzeugt. (Siehe Abb. 8, Vergleich eines Glimmerkondensators (b) mit einer Leidener Flasche (a) von gleicher Kapazität.).

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Haben wir auf diese Weise die Kapazität unseres Erregers wesentlich vergrößert, so verfügen wir schon über Entladungsfunken erheblicher Intensität. Da wir es bei der Elektrizität nicht mit einem so trägen Fluidum wie dem Wasser zu tun haben, und die Entladung eines Kondensators in einem minimalen Bruchteil einer Sekunde stattfindet, so müssen wir unserem System dauernd frische Elektrizitätsenergie zuführen, um einen dauernden Funkenübergang, mithin eine dauernde Erzeugung oszillatorischer Entladungen zu erzielen. Um die Konstruktion von Hochfrequenzapparaten jedoch zu verstehen, müssen wir noch einen neuen Begriff in unsere Betrachtungsreihe einführen.

Wir haben vorhin gesehen, daß, wenn man einen unterbrochenen Wechselstrom durch eine Spule hindurchschickt, Stromstöße in einer anderen, in der Nähe befindlichen Spule erzeugt werden. Nun tritt aber die merkwürdige Erscheinung auf, daß ein Wechselstrom bereits in der primären Spule einen mehr oder weniger erheblichen Widerstand findet, und zwar kann dieser Widerstand so hoch werden, zumal bei steigender Wechselzahl oder bei Vorhandensein eines Eisenkerns in einer Spule, daß überhaupt kein Strom durch die Spule hindurchgeht, während ein Gleichstrom unverändert hindurchverlaufen würde.

Abb. 8. Vergleich einer Leidener Flasche mit einem Glimmerkondensator gleicher Kapazität.

 Dieses Phänomen hat seine Ursache in der sogenannten Selbstinduktion. Gerade so wie die primäre Spule in einer sekundären Induktion hervorruft, und zwar den primären Richtungen entgegengesetzte Ströme, gerade so können wir auch eine einzelne Spule mit einer größeren Zahl von Windungen als eine Reihe von verschiedenen Spulen von je einer Windung betrachten. Wenn wir diese Betrachtungsweise anwenden, so verstehen wir, daß jede Windung in dem Moment, wo sie vom Strom in einer bestimmten Richtung durchflossen wird, in den nächstfolgenden und vorhergehenden Windungen entgegengesetzt gerichtete Ströme produziert und so den sie speisenden Strom abschwächt. Diese, Selbstinduktion genannte Wirkung spielt eine um so größere Rolle, je höher die Frequenz des primären Wechselstroms ist, und je zahlreicher und dünner die Windungen der Spirale sind.

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Die Selbstinduktion ist um so geringer, je weniger Windungen eine Spule aufweist, und ist bei einer einzigen Drahtwindung sehr klein. Man mißt sie nach der Einheit Henry. Eine solche Spule, das heißt eine Anzahl weniger, meistens relativ dicker Windungen, ist in unserem System oszillierender Entladungen notwendig, um das Abklingen der oszillatorischen Entladungen durch den Funken hindurch in bestimmter Weise zu regulieren. Man bezeichnet eine solche Spule kurzweg als Selbstinduktion.

Der in der eben beschriebenen Weise vervollkommnete Hertzsche Erreger, der aus ganz einfachen elektrischen Vorrichtungen besteht, nämlich aus einer Funkenstrecke, einem Kondensator und einigen Drahtwindungen, schließt nun das Geheimnis der Erfolge der drahtlosen Telegraphie, der d’Arsonvalschen Ströme und der Diathermie in sich. Diese drei höchst einfachen Vorrichtungen stellen nämlich, in bestimmter Weise zueinander in Beziehung gebracht, einen sogenannten elektrischen Schwingungskreis dar. Es ist nun keineswegs gleichgültig, wie die Größenverhältisse sowie die Form und Anordnung dieser drei Faktoren gewählt werden. Vielmehr ist von der Berücksichtigung dieser Umstände die verschiedenartigste Funktions- und Leistungsmöglichkeit abhängig. Bezeichnen wir die Wechselzahl mit n, die Kapazität mit C, die Selbstinduktion mit L, so besagt uns eine einfache Formel, unter welchen Umständen wir die beste und geeignetste Leistung für die verschiedenen Größen der sie zusammensetzenden Faktoren erhalten werden. Wir wollen an dieser Stelle auf die weitere Entwicklung der oszillatorischen Entladungsgesetze und die Berechnung der Größenverhältnisse der einzelnen Bestandteile des Schwingungskreises nicht näher eingehen, sondern werden an Hand der einzelnen Apparate über die Schwingungsformen und ihr Ablaufen das Nötige anführen.

Nur einen außerordentlich wichtigen Begriff müssen wir an dieser Stelle besprechen. Es ist der Begriff der Dämpfung. Wie wir gesehen haben, besteht ein elektrischer Funke aus einer Anzahl hin- und hergehender Oszillationen, welche im Moment des Einsetzens des Funkens die größte Intensität haben und mehr oder weniger schnell abnehmen. Diese Abnahme ist abhängig von dem Grade der Dämpfung. Wir werden uns auch hier durch einen Vergleich aus der Mechanik am ehesten ein klares Bild machen können. Betrachten wir die Schwingungskurve einer guten Stimmgabel, die wir auf einem Kymographion von der Stimmgabel schreiben lassen, nachdem wir sie mit einem Hammer angeschlagen haben. Die Figur (Abb. 9a) zeigt ein Stück einer solchen Kurve. Vergleichen wir die Anfangs- und die Endschwingungen dieses Stücks, so erkennen wir keinerlei Unterschied zwischen den einzelnen Schwingungen.

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Der Abstand der Wellen, die Höhe ihrer Amplitude und die Form bleiben stets gleich, und nur, wenn wir nach einigen Sekunden die Kurve wieder nachmessen, sehen wir, daß die Amplitude an Höhe nach und nach abnimmt, während die Wellenlänge, das heißt die Schwingungszahl, unverändert bleibt. Erregen wir nunmehr die Stimmgabel dauernd gleichmäßig, elektromagnetisch zum Beispiel, so bewirken wir damit, daß die schwingende Energie, die sich infolge der nicht ganz idealen Elastizität des Stahls allmählich aufzehrt, dauernd wieder ergänzt wird durch die Zufuhr der neuen elektrischen Energie, und wir bekommen ein unverändertes Fortschwingen der Stimmgabel mit stets gleicher Amplitude. Wir sagen, daß die stählerne Stimmgabel an sich bereits sehr elastisch ist und eine geringe Dämpfung hat, und daß wir durch Erregung dieser Stimmgabel mittels eines Elektromagneten gleichmäßige, dauernd ungedämpfte Schwingungen erzeugen. Nehmen wir nunmehr an Stelle der Stimmgabel aus Stahl eine solche aus Blei, so können wir auch diese durch einen Schlag zum Schwingen bringen.

Abb. 9a. Stimmgabelkurve (fast ungedämpft).
Abb. 9b. Starkgedämpfte Kurve.

Zeichnen wir aber die Kurve auf ein Kymographion auf, so sehen wir, daß nach ganz wenigen Schwingungen infolge der sehr geringen Elastizität des Bleies die schwingende Energie aufgezehrt wird, und werden ungefähr folgendes Bild erhalten (Abb. 9b).

Hierbei nehmen die Schwingungen außerordentlich schnell an Amplitude ab und erreichen nach wenigen Oszillationen den Wert O. Die vorhandenen Oszillationen aber haben gleiche Form und gleiche Schnelligkeit. Was in der Mechanik die Aufzehrung der schwingenden Energie in obigem Beispiel verursacht, ist die innere Reibung, der innere Widerstand der Materie und der Luftwiderstand. In der Elektrizitätslehre haben wir es nicht mit materiellen, sondern mit energetischen Qualitäten zu tun. Hierbei fällt die mechanische Reibung fort. Aber die Aufzehrung der schwingenden Energie findet auch hier statt. Das Analagon der inneren Reibung ist in diesem Falle innerer Widerstand, Selbstinduktion, Verlust an elektrischer Energie durch Transformation in Funkenwärme, Sprühverluste der Kondensatoren usw., und so sehen wir den Entladungsfunken einer Leidener Flasche, oszillographisch dargestellt, etwa in folgender Kurve repräsentiert (Abb. 10), deren Ähnlichkeit mit der oben stehenden Kurve offensichtlich ist, nur daß die Maßeinheiten, welche der Eintragung der Zeitgrößen auf der Abszisse zugrunde gelegt werden, für die Periode der mechanischen Schwingungen unendlich groß (hundertstel Sekunden), für die elektrischen Schwingungen im Vergleich hierzu unendlich klein (108 Schwingungen in der Sekunde) sind.

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Noch viel kleiner würden Lichtschwingungen, welche 400 – 700 Billionen mal in der Sekunde stattfinden, die Entfernungen bei der Abszisse eingezeichnet werden müssen.

Nachdem wir so die einzelnen Komponenten eines Schwingungskreises beschrieben haben, wollen wir noch kurz auf den Begriff der Schwingungsdauer eingehen. Gerade so, wie für die Stimmgabel die Länge der Zinken maßgebend für die Tonhöhe, das heißt für die Wellenlänge, das heißt für die Schwingungsdauer ist, oder wie in der Optik ein monochromes Licht von bestimmter Farbe stets eine bestimmte Wellenlänge, das heißt feststehende Schwingungszahlen hat, und eine andere Wellenlänge oder Schwingungszahl einer anderen Farbe entspricht, so sind auch die elektrischen Schwingungen bezüglich der Wellenlänge und Schwingungszahl, je nach dem sie produzierenden Apparat (vorausgesetzt, daß er gleichmäßige Schwingungen erzeugt) charakterisierbar, und zwar berechnet sich die Schwingungsdauer eines Schwingungskreises im wesentlichen aus der Kapazität und der Selbstinduktion.

Abb. 10. Entladungskurve einer Leidener Flasche

Verändern wir daher entweder die Kapazität (das heißt die Fläche des Kondensators oder das Material und die Dicke seines Dielektrikums), oder die Selbstinduktion (das heißt die Zahl der Drahtwindungen, ihre Dicke oder ihr Material oder die Art ihrer Isolierung), so verändern wir damit auch die Wellenlänge, die der Schwingungskreis produziert. Die Berechnung setzt sehr komplizierte mathematische Formeln voraus, kann aber praktisch durch im Interesse der drahtlosen Telegraphie, intensiv durchgebildete Apparate (Wellenmesser) einfach bestimmt werden. Es genügt, an dieser Stelle zu erwähnen, daß die 3 Größen, Kapazität C, Selbstinduktion L und Periode T sich in folgende Beziehung bringen lassen:

T = 2 • π • √(L • C)

Diese Formel enthält allerdings noch nicht den inneren Widerstand des Schwingungskreises. Wir berechnen hiernach die Frequenz pro Sekunde, indem wir 1 durch T dividieren. Im feststehenden Verhältnis zur Schwingungszahl steht nun auch die Wellenlänge, die in der drahtlosen Telegraphie und Telephonie praktisch meistens als Maß an Stelle der Schwingungsdauer benutzt wird.

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Da die Geschwindigkeit des Lichts und des elektrischen Stromes die gleiche ist, so laßt sich die Wellenlänge ganz einfach dadurch berechnen, daß man 300 000 km (Fortpflanzungsgeschwindigkeit des Lichts in einer Sekunde) durch die Zahl der Wellen in einer Sekunde dividiert. Es ergibt sich daraus die Wellenlänge in Metern. In der medizinischen Diathermie verwenden wir Wellen von ca. 300 bis 1000 Meter Länge.

Wir haben im vorstehenden die Grundbestandteile kennen gelernt, aus welchen sich ein Schwingungskreis zusammensetzt, und gesehen, wie die Beziehungen dieser einzelnen Grundbestandteile zueinander sein müssen, um elektrische Wellen bestimmter Art zu erzeugen; wir haben dabei vorausgesetzt, daß irgendwie elektrische Energie in den Schwingungskreis hineingebracht wird. Wir müssen uns nun auch noch kurz mit den elektrischen Stromquellen beschäftigen, welche sich für die Ladung von in Schwingungskreisen befindlichen Kondensatoren, das heißt für die Speisung von Schwingungskreisen als geeignet erwiesen haben. Das Nähere hierüber werden wir bei der Besprechung der einzelnen Apparaturen ausführen. An dieser Stelle wollen wir nur bemerken, daß Influenzmaschinenströme, Induktions- und Hochspannungstransformatoren beziehungsweise Wechselströme zur Speisung von Funkenstreckenapparaten verwandt werden, während Hochfrequenzapparate, welche an Stelle der Funkenstrecke eine Bogenlampe besitzen, mit Gleichstrom gespeist werden.

Bevor wir nun zur Schilderung der einzelnen Apparate übergehen, müssen wir noch zwei weitere Begriffe aus der elektrischen Wellentheorie kurz definieren. Das ist der Begriff der Resonanz und der der Koppelung. Wenn wir zwei gleichgestimmte Stimmgabeln dicht nebeneinander aufstellen und die eine Stimmgabel anschlagen, so kommt die andere Stimmgabel durch Luftübertragung der Schwingungen ebenfalls zum Tönen. Unterbrechen wir nun die Schwingungen der ersten Stimmgabel unmittelbar nach dem Anschlagen, zum Beispiel durch Berührung mit der Hand, so tönt trotzdem die andere Stimmgabel weiter. Ebenso können wir bei dem Klavier durch Aufheben der Dämpfung und Hineinsingen eines Tones die gleichgestimmten Saiten zum Mitschwingen bringen. Ein analoges Phänomen haben wir in der Wellenelektrizität. Erzeugen wir nämlich in einem Schwingungskreis elektrische Schwingungen, so gerät ein in der Nähe befindlicher Schwingungskreis, der nur aus Selbstinduktion und Kondensator besteht, unter gewissen Umständen ebenfalls in Schwingungen. Der zweite Schwingungskreis darf keine Funkenstrecke enthalten, denn die Funkenstrecke wirkt als ein sehr intensives Hindernis wegen des in ihr enthaltenen Luftwiderstandes und gestattet kein Weiterschwingen der übertragenen Energie. Es wird aber auch nicht jedes elektrische Schwingungssystem auf Resonanz ansprechen, sondern nur ein resonanzfähiges, das heißt ein solches, dessen Wellenlänge der des ersten Schwingungskreises ungefähr entspricht.

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Ist dies der Fall, so können wir den sekundären Schwingungskreis dadurch erregen, daß wir zum Beispiel den ersten in dauernde Schwingung versetzen oder in dem ersten eine Reihe kurz dauernder Schwingungsgruppen erzeugen, die durch sogenannte Stoßwirkung den sekundären Schwingungskreis zum dauernden Weiterschwingen bringen. Es ist auch nicht unbedingt notwendig, daß der sekundäre Kreis genau abgestimmt ist. Vielmehr können auch bei mangelnder Abstimmung Schwebungen im sekundären Kreis entstehen, welche auf der Zusammensetzung der Eigenschwingung des sekundären Kreises und der vom primären Kreis aufgedrückten Schwingungen beruhen. In den meisten Fällen jedoch kommt es auf eine möglichst gute Übereinstimmung der Eigenschwingungen der beiden Kreise an.

Die Übertragung der schwingenden Energie vom primären auf den sekundären Kreis braucht nun keineswegs durch die Luft zu erfolgen, das heißt durch den Äther, sondern kann auch durch metallische Verbindung stattfinden. Im ersten Falle sprechen wir von induktiver Koppelung, im zweiten Falle von galvanischer Koppelung. In der Praxis hat sich ein Verfahren ausgebildet, die Selbstinduktionsdrähte in dem primären und sekundären Schwingungskreis als sogenannte Flachspule auszubilden (siehe Abb. 11) und die Selbstinduktion des sekundären Schwingungskreises (es kann auch der Kondensator vollständig fehlen und die Schwingungen lediglich in den Drahtwindungen stattfinden) beweglich zur primären anzuordnen, so daß sie entweder parallel neben ihr zu liegen kommt, oder bis zur völligen Deckung über sie geschoben werden kann (minimaler Effekt – maximaler Effekt), oder daß ihre Ebene senkrecht zu der der ersten (minimaler Effekt) oder parallel zu ihr (maximaler Effekt) gedreht werden kann. Man spricht dann je nach der Stellung von loser oder fester Koppelung.

Abb. 11. Ansicht einer Hoch- und einer Flachspule.

Mit den im vorstehenden erwähnten Vorstellungen und Begriffen ausgerüstet, können wir nunmehr zu einer Besprechung der verschiedenen Typen der in der Medizin üblichen Hochfrequenzapparate übergehen.

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3. Kapitel.
Stellung der Diathermie zur Hochfrequenztherapie.

Überblicken wir noch einmal den Entwicklungsgang der Hochfrequenztherapie, so sehen wir, welche außerordentliche Bedeutung die Vertiefung der Erkenntnis für die Verwertung einer empirisch in die Therapie eingeführten Methode gewinnen kann. Mit wahrem Enthusiasmus wurde in den 90er Jahren des vorigen Jahrhunderts die physiologische und klinische Anwendung der Hochfrequenzströme aufgenommen.

Es ist verständlich, daß infolge der glänzenden Experimentalvorführungen Teslas die Effekte der hochfrequenten und gleichzeitig hochgespannten elektrischen Ströme besonders die Aufmerksamkeit auf sich lenkten. Der Widerspruch, der zwischen den glänzenden Funkenentladungen, dem lebhaften, weithin hörbaren Geknatter der Apparate und der scheinbaren Wirkungslosigkeit der Ströme bestand, ließ ungewöhnliche Wirkungen ahnen. Aber gerade die Verwendung dieser hochgespannten Hochfrequenzströme hinderte das Eindringen in das Wesen ihrer physiologischen Wirkung, und so kam es, daß die Methode trotz ihrer, wie gesagt, enthusiastischen Aufnahme nicht nur in Frankreich, sondern auch in anderen Ländern nach und nach enttäuschen mußte.

Man hatte nicht begriffen, worauf es ankam, und die reine Empirie hatte in diesem Falle versagt. So kam es, daß manche Forscher mit ihren Apparaten und an ihrem Krankenmaterial vorzügliche Resultate beobachteten, die heute im Lichte der Diathermie vollständig verständlich sind, daß aber andere mit anderen Apparaten, anderer Methodik und anderem Krankenmaterial nur Mißerfolge erlitten. Die Folge dieser ungleichen, widerspruchsvollen Bewertung mußte notwendig dazu führen, daß die Mißerfolge der Methode zur Last gelegt und die Erfolge auf Suggestion zurückgeführt wurden.

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So verstehen wir, daß auch die Nachprüfung in Deutschland (Bädecker, Eulenburg, Toby Cohn und andere) die Methode als eine im wesentlichen suggestiv wirkende stark ablehnte. Infolgedessen, da weitere Nachprüfungen zu fehlen schienen, war sie nicht nur in Deutschland, sondern auch im Auslande, ausgenommen Frankreich, so gut wie erledigt. Dies wurde mit einem Schlage anders, als die mehrfach in der Literatur erwähnten, praktisch unfruchtbar gebliebenen Beobachtungen von Wärmeeffekten systematisch und praktisch zur Lehre der Diathermie ausgebildet wurden, und nunmehr der experimentell und klinisch jeder Untersuchung relativ leicht zugängliche Wärmeeffekt als die Quintessenz einer jeden reinen Hochfrequenzapplikation erkannt wurde.

Es wird nach der Lektüre der vorstehenden Kapitel nicht schwer sein, nunmehr die Stellung der Diathermie zur d’Arsonvalisation zu erkennen. Dem Kern der Sache nach besteht gar kein Unterschied. Ob wir Funkenstrecken mit großem Luftzwischenraum, stärkster Dämpfung und relativ seltenen Entladungen oder ganz ungedämpfte Schwingungen (Poulsenlampe) oder Stoßerregung (Wiensche Funkenstrecke, Telefunken) verwenden, ob wir niedrig gespannte oder sehr hochgespannte Hochfrequenzströme mit diesen Apparaten erzeugen, der diathermische Effekt ist mit all diesen in gleicher Qualität verbunden und hängt lediglich von der quantitativen Leistung der Apparate in seiner Erscheinungs- und Wirkungsart ab. So habe ich lange, ehe es eigentliche Diathermieapparate gab, diathermischeVerbrennungen kleinerer Tiere im Experiment und therapeutische Applikationen der reinen Diathermie mit ganz gewöhnlichen D’Arsonvalapparaten vornehmen können. Ja sogar Knochenkarzinome und kleinere Weichteiloperationen nebst Gelenk- und Herzbehandlungen habe ich schon 1906 und 1907 ausgeführt. Daß hierbei die Hochspannung insofern störte, als Funkenentladungen an ungewünschten Stellen oder zufällig mit in die Erscheinung traten, und daß vielleicht die Streuung der Kraftlinien für den therapeutischen Effekt ein wenig ungünstiger war, beeinträchtigte im Prinzip keineswegs die Art der Wirkung. Ich habe 1911 in Birmingham die Entladungen des D’Arsonvalapparates und der Diathermieapparate mit Stoßfunkenerregung mit einem Beispiel aus der Akustik verglichen.

Feuert man alle Stunden eine moderne Riesenkanone ab, so erzeugt man Schallwellen einer enormen Amplitude, die mit sehr starker Dämpfung abklingen, wonach bis zum nächsten Schuß eine sehr lange Pause eintritt (d’Arsonvalsche Funkenentladungen, 100 000 Volt). Dei Analogie zur Diathermie (200 Volt) bietet ein kleinkalibriges Gewehrfeuer, wobei alle Sekunden ein Schuß fällt, dessen allerdings niedrigere Schallamplituden zwar auch stark gedämpft sind, aber bis zum nächsten Schuß weiter klingen, so daß keine Schwingungspausen entstehen.

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Vergleichen wir die gesamte Ausbeute an Schwingungsenergie, so ergibt trotz der großen Amplitude der Kanonenschuß wegen der unverhältnismäßig langen Pausen eine geringe Ausbeute, während das ununterbrochene Gewehrfeuer dauernd schwingende Energie erzeugt. So sind die Milliampere, welche ein D’Arsonvalapparat liefert, gering an Zahl, 20—100, nur in besonders kräftig konstruierten Apparaten (Sanitas) bis zu einem Ampere. Die Diathermieapparate dagegen, wenigstens diejenigen, die praktisch für die Medizin Bedeutung haben, liefern 2000 bis 3000 Milliampere. Die Spannung jedoch, die zwar als Sprüheffekt (Douchenentladung, Fulguration, Funkenkaustik) von Bedeutung ist, spielt für die diathermische Wirkung gar keine Rolle, da sie bei Einschaltung des menschlichen Körpers vermöge seines enormen Widerstandes auf ein Minimum reduziert wird und für die diathermische Leistung ungenutzt verloren geht. Wenn wir also im Prinzip keinen qualitativen Unterschied zwischen den Hochfrequenzströmen der einzelnen Apparattypen aufstellen, so haben wir doch die Erkenntnis gewonnen, daß die quantitativen Leistungen der Apparatur für das klare Experiment und für den klinischen Erfolg von der größten Bedeutung sind. Wir werden Mißerfolge, wie ich das schon 1907 betonte, nicht ohne weiteres der Methode zur Last legen dürfen, sondern stets verlangen, daß zur kritischen Würdigung Art der Apparatur, Applikationsmethode und Dosis neben der Charakteristik des einzelnen Falles klar angegeben sein müssen.

Ich habe mich vielfach davon überzeugen können, daß durch einen kleinen unscheinbaren technischen Fehler, sei es in der Wahl der Stromstärke, sei es in der Applikationsart oder im Angriffspunkt der Therapie Mißerfolge herbeigeführt wurden, die heute vermieden werden können. Ich habe deshalb für den Siemensschen Diathermieapparat, der unter meiner Leitung konstruiert wurde, die auf Seite 114 mitgeteilte Dosierungstabelle aufgestellt, welche für die einzelnen Elektrodengrößen und für die wichtigsten Applikationsarten die ungefähre Stromstärke angibt. Selbstverständlich kann eine solche schematische Tabelle nur einen ganz geringen Wert haben, da man eben die Diathermie nicht theoretisch erlernen kann. Sie soll nur ein Anhalt für den Anfänger sein, damit er ganz grobe Fehler vermeidet und überhaupt eine Anweisung dafür hat, welche Stromstärken im allgemeinen zulässig sind.

Jetzt, wo ein Lehrbuch über Diathermie vorliegt, ist das Bedürfnis nach solchem technischen Hilfsmittel nicht mehr vorhanden, und ich hoffe, daß das Studium des vorliegenden Buches die Anwendung der Diathermie erleichtert. Es wäre aber grundfalsch, anzunehmen, daß durch noch so aufmerksame Lektüre die Diathermie erlernt werden könnte.

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Der menschliche Körper in seinem Normalzustande ist ein so variabler Organismus und ein so kompliziertes Konglomerat von verschiedenen Widerständen für den elektrischen Strom, daß noch so ausgiebige experimentelle Untersuchungen am Tier oder an der Leiche die klinische Erfahrung höchstens vorbereiten, keinesfalls zu ersetzen imstande sind. Noch wesentlich schwieriger und komplizierter werden die Verhältnisse, sobald man pathologische Zustände vor sich hat, deren wahre Natur ja trotz der eminenten Fortschritte der Diagnostik vielfach noch nicht genügend gedeutet werden kann, um im Einzelfalle die spezielle Anwendungstechnik der Diathermie und Indikationsstellung zu ermöglichen.

Grundregeln.

Die wesentlichen Erfordernisse, welche erfüllt sein müssen, um eine aussichtsvolle diathermische Therapie auszuüben, will ich noch einmal kurz rekapitulieren:

  1. Ein gewisser Grad von Vorbildung in bezug auf Elektrizitätslehre ist für den Arzt unerläßlich.
  2. Es muß eine möglichst universelle diagnostisch-klinische Vorbildung vorhanden sein.
  3. Der Diathermieapparat muß möglichst einfach zu bedienen sein.
  4. Die Leistung des Apparates muß eine ausreichende sein (wenigstens 100 Watt schwingender Energie).
  5. Die Technik der Applikation muß eine durchaus skrupulöse sein. Von der größten Wichtigkeit sind:
    • tadelloses Zuleitungs- und Elektrodenmaterial;
    • sorgfältige, verständnisvolle, dauernd kontrollierte Elektrodenapplikation;
    • Einschaltung auch schwacher Ströme stets nach Anlegung der Elektroden;
    • Ausschaltung des Stromes stets vor Abnahme der Elektroden;
    • Beginn, trotz der Ungefährlichkeit plötzlicher Einschaltung größerer Stromstärken auch für den Geübten, mit vorsichtiger Dosierung;
    • Berücksichtigung des jeweils kleinsten stromdurchflossenen Körperquerschnittes (besonders der Handgelenke und Knöchel);
    • richtige Wahl der Stromstärke (wenig kann wirkungslos sein, zuviel kann schaden, mehr oder weniger kann entgegengesetzte Wirkung hervorrufen);
    • richtige Bemessung der Applikationsdauer und der während dieser eventuell zu wechselnden Stromstärken;

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    • richtige Wahl des Angriffspunktes der diathermischen Behandlung;
    • sinngemäße Wahl der Applikationsmethode (reine Diathermie, Kondensatordouchenmethode);
    • Grundregel: Stets bipolare Applikation.

Alle diese Punkte und manche in den vorstehenden Kapiteln erwähnten Details soll man stets gegenwärtig haben, will man Erfolge erzielen und Schädigungen vermeiden. Befleißigt man sich einer genügenden Kontrolle und begnügt sich nicht allein mit der Angabe des Patienten, ob die Erwärmung eine zu starke ist, so können Verbrennungen mit Sicherheit vermieden werden. Ich habe auch niemals Thermoanästhesie (Syringomyelie und Tabes) als eine strikte Kontraindikation betrachtet, sondern nur als eine Veranlassung zu besonders scharfer, sorgfältiger Kontrolle der stattgefundenen Erwärmung.

Die vielfach in ärztlichen Kreisen herrschende Furcht vor der Applikation der Diathermie und der Hochfrequenzströme war vor der Ausbildung der Diathermielehre zum Teil gewiß begründet. Man wandte Hochfrequenzströme an, ohne zu wissen, wie und warum sie wirkten. Heute, wo wir über ein großes Maß klinischer Erfahrung und über die Kenntnis wichtiger Kontraindikationen verfügen, ist die Diathermie, verständnisvoll angewandt, trotz ihrer eminenten Wirksamkeit relativ ungefährlich. Da wir es bei ihr mit der vielleicht einzigen Wirkung der reinen Wärme zu tun haben und ihre Dosierungs- und Lokalisierungsmöglichkeit im allgemeinen wesentlich über das Maß hinausgeht, welches uns sonst in der Therapie zur Verfügung steht, haben wir eine viel größere Sicherheit in der Applikation, als zum Beispiel die Röntgenstrahlen, die Lichtbäder, die Hydrotherapie und die Mehrzahl der internen Medikationen sie uns bieten.

Es kann erstaunlich erscheinen, wie groß die Zahl der Indikationen jetzt schon bei der Jugend der Methode ist. Ich könnte leichtlich in den Verdacht geraten, in den vorstehenden Kapiteln die Diathermie als eine Panazee anzupreisen. Wenn man aber bedenkt, daß die Diathermieapplikation mit großer Wahrscheinlichkeit nichts anderes ist als die Erzeugung reiner Wärme in jeder beliebigen Tiefe des Organismus, in jeder beliebigen Quantität, in jeder gewünschten Lokalisierung, und andererseits, daß ja alle vitalen Vorgänge in letzter Linie Oxydation, das heißt Verbrennung, das heißt Wärmeproduktion bedeuten, und daß unsere therapeutischen Bestrebungen letzten Endes auf die Regulierung oder Stimulierung dieses Verbrennungs-, das heißt Lebensprozesses abzielen, so wird man die Universalität der Diathermis für die gesamte Medizin begreifen. Nicht in allen Fällen wird die Erhöhung der Lebensprozesse das gewünschte therapeutische Resultat sein. Auch die Produktion der physiologischen Wirkungen der Diathermie, welche wir kennen gelernt haben, wird nicht stets erstrebenswert sein, und so haben wir neben Erfolgen auch Mißerfolge gesehen und nach Möglichkeit hervorgehoben.

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Wenn man aber andererseits fast täglich die Erfahrung macht, wie dieses oder jenes Leiden nach langem Bestande unter allen erdenklichen therapeutischen Versuchen (Tabes, Ischias, Asthma, Angina pectoris, Gicht unter anderem) im unmittelbaren Anschluß an eine oder wenige therapeutische Applikationen der Diathermie plötzlich sich wesentlich bessert oder definitiv heilt, so wird man sich der Auffassung nicht verschließen können, daß die Diathermie eine Methode darstellt, welche der Therapie gänzlich neue Wege weist und vielfach geradezu als glänzend zu bezeichnende unmittelbare Erfolge erzielen läßt. Die fast spezifisch zu nennende schmerzstillende Wirkung der Hochfrequenzströme, besonders in ihrer vervielfachten diathermischen Form, ist ja vielleicht zur Genüge durch die bekannte analgetische Wirkung der Wärme erklärt. Immerhin ist es aber auch möglich, daß, wie ich 1907 bei der D’Arsonvalisation bereite hervorhob, die molekuläre Erschütterung der die Nervenfasern und Zellen zusammensetzenden Atomgruppen die zentripetale Schmerzleitung gewissermaßen inhibiert, und daß somit für diese wie für manche andere Wirkung der Hochfrequenzströme die elektrische Energieform als solche, vielleicht auch ihre Spannung von Einfluß ist. Die bisherigen Erfahrungen scheinen jedoch für eine reine Wärmewirkung zu sprechen.

Ich habe das vorliegende Werk im wesentlichen auf meinen eigenen experimentellen und klinischen Beobachtungen aufgebaut. Dies geschah nicht, um sie in den Vordergrund des Interesses zu rücken oder mir Prioritäten zu wahren, sondern lediglich, weil auf diesem trotz der vieljährigen d’Arsonvalschen Erfahrungen vollkommen neuen Gebiet die Apparatur, die Technik und die Dosierung von so weittragender Bedeutung sind, daß die in der Literatur niedergelegten Beobachtungen zur klinischen Verwertung in einem Lehrbuch nicht eindeutig genug erscheinen. In dem nachstehenden Literaturverzeichnis habe ich eine möglichst vollständige Zusammenstellung aller bisher erschienenen einschlägigen Arbeiten zu geben versucht. Wenngleich manche dieser Arbeiten grobe Irrtümer und unverwertbare Beobachtungen enthalten, besitzen viele andere produktiven und kritischen Wert. Im ganzen ist vieles, was in den vorstehenden Kapiteln an klinischer Beobachtung niedergelegt ist, die sich auf etwa 30 000 Applikationen an weit über 5000 Fällen stützt, in der bereits vorliegenden Literatur von anderer Seite bestätigt, und ich erwarte von dem im März 1913 stattfindenden 4. Kongreß für Physiotherapie wesentliche weitere Klärung der Anschauungen.

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